Der Herr der Erdbeben – wie kam Cusco zu seinem Schutzpatron und was passiert bei der Ostermontagsprozession?
Schon mehr als 360 Jahre lang wird der Herr der Erdbeben in Cusco verehrt – Generationen über Generationen haben zu seinen Ehren Jahrein Jahraus alles stehen und liegen gelassen und sind auf die Plaza de Armas geströmt um seinen Segen zu empfangen und ihm zu danken.
So auch dieses Jahr: Tausende Cusqueños nehmen an der traditionellen Prozession des Erdbebenheiligen an Ostermontag teil – wer es tagsüber nicht schafft einen Blick auf ihn zu erhaschen, der kommt am Abend auf die Plaza de Armas wenn es für den Señor de los Temblores wieder zurück in die Kathedrale geht – die Stimmung ist trotz der Menschenmassen eine ganz besondere!
Stürme, Erdbeben und ein gefälschter Jesus – Die Geschichte seiner Verehrung
1620 macht sich ein Schiff aus Sevilla auf über den Ozean ins Vizekönigreich Peru, beladen mit einem angeblich so wundervoll geschnitzten Jesus, dass er die christliche Missionierung erleichtern sollte. Mitten auf hoher See kommt ein wilder Sturm auf und die Seemänner binden in ihrer Verzweiflung die Jesusfigur an den Mast und bitten um göttlichen Beistand. Wie durch ein Wunder lässt der Sturm nach und die Jesusfigur kommt im Hafen von Callao als der Herr der Stürme an.
Bei seinem Transport über die Anden Richtung Cusco macht der Transporttrupp unter anderem in dem Städtchen Mollepata Rast und als sie sich auf machen wollen zur letzten Etappe ihrer Reise, erscheint der Jesus mit einem Mal so schwer, dass sie es nicht schaffen ihn fortzubewegen – ein cleverer Trick um den besonders schönen Jesus in ihrem Dorf zu behalten. Damit die Sache nicht auffliegt, lässt man von einem einheimischen Künstler eine zweite Jesusfigur anfertigen, die stattdessen nach Cusco ausgeliefert wird. Niemand hier schenkt dem eher unansehnlichen Jesus grosse Beachtung.
Doch 1650 bebt die Erde in Cusco, so stark und langanhaltend dass die Bevölkerung Cuscos zur letzten Rettung greift und den Jesus zu ihrem Schutz auf die Plaza de Armas hinaus bringt und tatsächlich – das Beben hat ein Ende! Dieses Ereignis ist auf einem grossen Gemälde in der Kathedrale Cuscos festgehalten worden:
Seit diesem historischen Tag in der Geschichte Cuscos wurde diese Jesusfigur zum Herrn der Erdbeben und als es ihm gelingt eine Pestepedemie im Jahr 1720 einzudämmen wird er von der Bevölkerung zum Schutzpatron der Andenstadt ausgerufen!
Aber nicht nur zu Katastrophen wird die Jesusfigur verehrt, sondern für viele Gläubige ist der Herr der Erdbeben ihr Ansprechpartner in persönlichen Krisenzeiten.
Identifikationsfigur – Der Herr der Erdbeben ist dunkelhäutig
Der Herr der Erdbeben wird von vielen Menschen liebevoll Taytacha genannt, Quechua für Väterchen. Gerade die indigene Bevölkerung der Anden hat eine enge tiefe Verbindung zu ihrem Schutzpatron aufgebaut. Vielleicht auch gerade wegen der einmaligen Besonderheit, dass ihr Taytacha dunkelhäutig ist, wie keine andere Jesusfigur.
Dass die dunkle Färbung wohl von tausenden von Kerzen stammt, die über die Jahrhunderte um ihn herum ihren Russ verteilten, spielt dabei keine Rolle – er ist einer von Ihnen! Die erste Messe zu seinen Ehren wird bis heute auf Quechua gehalten, der indigenen Sprache der Inkakultur, heute noch Muttersprache vieler Andenbewohner.
Was eine Restaurierung im Jahr 2005 zu Tage fördert
Der Herr der Erdbeben hatte über die Jahrhunderte sehr gelitten und 2005 beschliesst das nationale Kulturministerium, dass eine Restaurierung unumgänglich ist. In einer grossen Verabschiedungs-Prozession wird der Herr der Erdbeben nach Tipon gebracht, dort sind Spezialisten am Werk um dem Verfall der Figur Einhalt zu gebieten – und dabei kommt erstaunliches zu Tage!
Erstens wird bestätigt, was man lange nur annahm: der Jesus ist tatsächlich hier in Peru hergestellt worden, es handelt sich also nicht um die spanische Figur aus Sevilla. Die Materialien stammen ausschliesslich aus heimischen Pflanzen, darunter Leinen und Agavenholz.
Zweitens findet man in der geschnitzen Lanzenwunde am Oberkörper der Figur insgesamt 61 an ihn gerichtete Briefe, der älteste datiert von 1762! Wer sie wann und wie dort kleingefaltet hineingestopft hat, bleibt ein Rätsel. Und ist doch ein Zeichen für den tiefen Glauben an die Kraft des Taytacha de los Temblores.
Quechua-Gesänge – der Chor der Chaynas
Für europäische Ohren vielleicht etwas schräg, doch die Musik und die Gesänge die die Messe und Prozession des Herrn der Erdbeben begleiten, beruhen auf inkaischen Musik-Überlieferungen und auf der traditionellen Fünftonmusik, eine der ältesten Tonsysteme auf der Welt und auch für die andinen Kulturgeschichte typisch.
Begleitet werden die Gesänge auf Quechua von einer Kapelle bestehend aus Harfen, Flöten, Geigen, Klavier und Akkordeon. Viele Frauen im Chor der Chaynas folgen einer alten Familientradition, denn nicht jeder heute kann Quechua und kennt die traditionellen Lieder zu Ehren der Heiligen.
Meist sehr hoch, tragend und traurig klingt der Gesang und sorgt für eine ganz besondere bedeutungsschwere Stimmung.
Hier könnt ihr einmal in die Gesänge hineinhören.
5 Stunden auf den Schultern gläubiger Männer – Die Prozession
Am Ostermontag gibt es von 6 Uhr bis 11 Uhr vormittags stündlich eine Messe zu seinen Ehren, bevor der Herr der Erdbeben gegen 14 Uhr am Ostermontag die Kathedrale an der Plaza de Armas von Cusco verlässt. Rund 5 Stunden wird er nun im Wiegeschritt durchs Zentrum Cuscos getragen und kommt an den Kirchen Santa Teresa, San Francisco, La Merced und La Compañia vorbei.
Überall an den Balkonen auf dieser Strecke hängen rote Samtstoffe und die Menschen stehen mit Körben voller Blüten bereit. Extra für diesen Tag werden in der Umgebung Cuscos die kleinen roten Njucchu-Blüten gesammelt, die zu dieser Jahreszeit blühen und aus denen traditionell der Blumenschmuck des Erdbebenheiligen ist. Zu hunderten werden die Blüten während der Prozession von den Balkonen aus auf ihn geworfen.
Wer ein Abbild des Herrn der Erdbeben bei sich zuhause hat, baut es auf einem kleinen Altar auf dem Strassenrand auf und wartet bis das Original daran vorbeizieht und es somit segnet.
Teil der Bruderschaft zu sein, die den kiloschweren Heiligen auf den Schultern trägt, ist eine Ehre und man sieht den Männern die schwere aber auch bedeutungsvolle Aufgabe an. Weihrauch weht einem in die Nase und während die Kapelle spielt, hört man das laute dumpfe Tröten der Muscheltrompeten, eine Tradition aus Inkazeiten.
Der Triumpfzug am Abend – ganz Cusco hat sich auf der Plaza de Armas versammelt
Wer einen Platz in den ersten Reihen an der Strasse haben möchte, muss früh dasein, denn die Menschenmassen werden gegen 18 Uhr Richtung Plaza de Armas strömen um beim finalen Einzug in die Kathedrale dabei zu sein.
Wie immer bei Festlichkeiten in Cusco, egal ob inkaisch oder katholisch, ist ein bisschen Jahrmarktstimmung angesagt! Es werden Lollis im 3er Pack angeboten oder Tamales (Maismehltaschen), Heissgetränke wie Ponche de Almedras (Mandelmilch) oder Habas (Dickebohnenmilch), auf der Avenida del Sol gibt es Anticucho-Stände (Fleischspiesse) oder Milchreis mit einer Grütze aus dunkellila Mais, wer möchte kann bunte Leuchtspielzeuge erwerben oder kleine Informationsheftchen über die Osterfeierlichkeiten in der Stadt.
Und dann: die Musik kündigt ihn schon an, gleich wird er um die Ecke biegen und auf der Plaza de Armas zu sehen sein! Egal ob Jung oder Alt alle blicken erwartungsvoll in seine Richtung und zücken ihre Kameras und Handys um ein Bild von der diesjährigen Prozession des Erdbebenheiligen mit nach Hause nehmen zu können. Kleine Kinder werden auf die Schultern genommen und verfolgen den ganzen Trubel gespannt.
Kurz vor dem riesigen Holzportal der Kathedrale dreht er sich nocheinmal zu den Menschen auf der Plaza und Palmwedel werden in die Luft gereckt und man betet still vor sich hin.
Es herrscht eine besondere Stimmung, denn der Geräuschpegel bei so vielen Menschen ist erstaunlich niedrig und gleichzeitig tönen die Kapellenmusik und die Glockenschläge über den Platz und nicht zu vergessen, kurz vor seinem Einzug in die Kathedrale werden alle Alarmanlagen und Sirenen in der Umgebung angeschaltet und heulen als Tribut an seine Wunder.
Du möchtest bei diesem einmaligen Erlebnis dabei sein? Die wichtigsten Infos:
WANN?
Jedes Jahr am peruanischen „Ostermontag“ zwischen 14-19 Uhr. Achtung in Peru ist „Ostermontag“ am Beginn der Osterwoche, die Semana Santa geht hier also von „Ostermontag“ bis Ostersonntag, der darauffolgende Montag ist wieder ein normaler Geschäftstag.
W0?
Die Prozession startet und endet bei der Kathedrale auf der Plaza de Armas von Cusco. Das hier ist die Prozessionstrecke:
Hier erfährst du, was du während der Semana Santa in Cusco ausserdem nicht verpassen solltest!
FOTOTIPPS
- Wenn Du einen guten Blick auf den Herrn der Erdbeben erwischen möchtest, dann sei gleich am Anfang beim Auszug aus der Kathedrale und durch die Strasse Saphi mit dabei, hier hast du eine tolle Kulisse für deine Fotos durch die alten Gebäude und geschmückten Balkone und es ist noch nicht so voll!
- Mit Hilfe der Karte kannst du gerade am Anfang immer ein bisschen vor der Menschenmasse am Strasserand stehen und hast so einen tollen Blick auf die Prozession.
- Wenn du die ganze Strasse einfangen willst, schau dass du rechtzeitig einen Platz auf einem der Balkone von Restaurants auf der Strecke ergatterst, so hast du eine tolle Perspektive auf die Prozession.
SICHERHEIT
Bei so vielen Menschenmassen ist es einfach ratsam nur das Nötigste bei sich zu tragen und wenn man abends auf der Plaza ist, am besten auch keine Tasche oder Rucksack mitzunehmen, mit Kamera und etwas Geld in der Hosentasche kann man die Zeremonie relaxt geniessen und muss nicht auf seine Habseligkeiten achten!
Sorry, the comment form is closed at this time.