Was haben Knallfrösche, Spanferkel und ein BH gemeinsam? Religiöse Traditionen in Cusco
Die Kirche ist von außen verschlossen, aber über den Pfarreingang sind wir in den Kirchenraum gelangt – nur 10 Menschen sind hier und alle sind schwer beschäftigt, denn heute ist der 6.2., der Tag an dem die Heilige Jungfrau Purificada wieder an ihren angestammten Platz zurückkehrt. 14 Tage war sie neben dem Hauptaltar in ihrer vollen Pracht zu sehen und fast jeden Abend gab es eine Messe zu ihren Ehren.
Nun muss der lange goldbestickte schwere Umhang wieder in der kleinen Nische drapiert werden, die Jungrau mit Kind im Arm richtig ausgerichtet werden, Ringe und Ketten werden arrangiert, die silbernen Ohrringe in die kleinen Löcher ihrer hölzenen Ohren gesteckt. Feine Rauchfahnen steigen zu ihren Füssen auf, denn während der ganzen Zeremonie wird Räucherwerk verbrannt.
Luzgarda, die dieses Jahr die Festlichkeiten organisiert und finanziert hat, steht der Virgen Purificada zu Füssen und hält ehrfürchtig die goldene Krone und die Echthaarperücke der Jungfrau. Alle paar Jahre schneidet eine der glühenden Verehrerinen ihre glänzenden, schwarzen langen Haare ab und schenkt sie der Jungfrau, so dass neue Perücken für sie und ihr Kind hergestellt werden können.
Spanferkel, Schnaps und Planungen fürs nächste Jahr
Dieses Jahr hat Luzgarda beschlossen, die Festlichkeiten klein zu halten, bei der Hauptmesse am 2. Februar wurde ins Pfarrhaus geladen und alle Gäste und Kirchengänger zum Essen und Trinken eingeladen. Wie in Peru üblich sass man in Stuhlreihen an den vier Wänden des sonst leeren Raumes, es wurden süsse und salzige Kleinigkeiten geboten, Incacola für Jung und Alt und als Hauptmahlzeit Spanferkel mit Brot und einem Maismehlküchlein. Alle balancieren die gut bestückten Plastikteller auf ihren Knien und zupfen mit den fettigen Händen das zarte Fleisch von der Speckschwarte – Besteck ist bei solchen Essen völlig unüblich. Es werden weitere Plastikboxen verteilt für die Grossmutter zu Hause zum Mitnehmen, andere Sammeln die übriggebliebenen Speckschwarten für ihre Hunde ein – alle sollen etwas vom Festschmaus haben! Danach gibt es den typischen Anisschnaps „para matar al chancho“ – um dem Schwein den Rest zu geben!
Dann ergreifen die diesjähren Mayordomos das Wort – Mayordomos sind diejenigen, die die Festlichkeiten hauptverantwortlich organisiert haben – sie danken den Anwesenden und der Heiligen Jungfrau für ihre Unterstützung und Hilfe und bitten um Freiwillige fürs nächste Jahr. Feierlich wird den kommenden Mayordomos eine Miniatur der Jungfrau überreicht, diese bleibt jetzt das Jahr über in ihren Händen bis sie im nächsten Jahr weitergereicht wird. Dann wird es praktischer: wer möchte die nächsten Messe finanzieren und wer sorgt für den wöchentlichen Blumenschmuck, danach endet das Treffen eher untypisch ohne grosses Saufgelage.
Brotlaiber gegen Unterstützung
Während dem kommenden Jahr werden die Mayordomos sich im die Organisation der nächsten Festlichkeiten im Februar kümmern, wer allein über genügend Geld verfügt, stellt alles Nötige selbst auf die Beine, aber meist ist es üblich um Unterstützung zu bitten – das sogenannte „jurkar“. Dabei werden runde Brotlaibe zu kleinen Pyramiden aufgetürmt, mit denen man bei Verwandten, Bekannten und Freunden zu Besuch erscheint. Im Tausch mit den Brotlaibern, verpflichtet sich derjenige einen Teil der Festlichkeiten finanziell zu übernehmen: vielleicht ein neuer Umhang für die Jungfrau oder neuer Schmuck, Kerzen, Blumenschmuck, die obligatorische Musikband und die Knallfrösche für die Prozession, Verpflegung aller Gläubigen und und und.
Solchen religiösen Festlichkeiten sind keine Grenzen gesetzt, allein ein neuer bestickter Umhang kann zwischen 3000-5000 Soles kosten, umgerechnet zwischen 800 und 1300 Euro! Dieses Jahr gab es keine neue Kleidung, aber allein das Feuerwerk und die Knallfrosch-Konstruktionen an Bambusgestellen hat sie aktuell 2000 Soles gekostet. Luzgarda erzählt von Festlichkeiten zu Ehren eines Heiligen, bei dem über 700 Personen Brotlaiber erhalten haben! Bekannte Bands sind aufgetreten und jeder Gast bekam eine ganze Kiste Bier für sich alleine!
Viel wird geredet über die Ausstattung des Festes, Luzgarda ist sich sicher, dass sie kritisiert wird weil es dieses Jahr keinen Alkohol, nicht Tanz und Spass bis in die frühen Morgenstunden gab. Aber sie kritisiert diese Art des Feierns: „Die meisten kommen noch nicht mal zur Messe und erscheinen dann mit der ganzen Familie im Festlokal“ – für sie steckt hinter der Verehrung der Heiligen Jungfrau viel mehr.
Die Wunder der Virgen Purificada
Vor über 30 Jahren hat ihre Verehrung der Jungfrau begonnen. Gerade hatte sie mit ihrem Mann ihr erstes Kind bekommen und der Pfarrer der Gemeinde von Santiago drückte ihnen die Minatur der Virgen Purificada in die Hand – das Zeichen, dass sie im nächsten Jahr die Mayordomos seien sollten. Verwirrt und unsicher kommen sie zur Mutter ihres Mannes, die ihnen schimpfend zu verstehen gibt, welche Kosten nun auf sie zukommen würden und das wo sie doch selber kaum etwas hätten. Zerknirscht machen sie sich auf den Heimweg, es schüttet in Strömen. Auf dem Weg nach Hause kommen sie an einem Müllberg vorbei, doch irgendetwas lässt Luzgarda trotz Regen innehalten und den Müll genauer anschauen, etwas hat ihre Aufmerksamkeit erregt. Tatsächlich liegen mitten im Müll mehrere Geldscheine!
Für Luzgarda war es ein Zeichen der Heiligen Jungfrau, dass man im Leben nie verzagen soll und dass sie für einen da ist in jeder Not. Sie kaufen von dem Geld ihre erste Küche und organisieren im nächsten Jahr das erste Mal die Festlichkeiten zu Ehren der Virgen Purificada.
„Für mich ist die Jungfrau wie meine Mutter und um die kümmert man sich doch auch“ sagt sie, während wir in der Kirche zusammen sitzen und zusehen wie vorsichtig und detailgenau die Jungfrau in ihrer Nische arrangiert wird. „Aber es ist nicht so, dass du Wunder von ihr erwarten kannst, du musst trotzdem arbeiten und fleissig sein, aber sie hilft dir immer“.
Für Luzgarda ist sie der Grund weshalb es ihr heute finanziell sehr gut geht – mittlerweile lebt sie mit ihrer Familie in Mexiko und betreibt erfolgreich mehrere Exportgeschäfte. Seit sie vor über 30 Jahren das erste Mal die Festlichkeiten übernommen hat, hat sich diese Tradition schon viele Male wiederholt. Nicht immer konnte sie vor Ort sein, aber soweit sie es einrichten kann, ist sie im Februar in ihrer Heimatstadt Cusco. Und dieses Jahr wollte sie die Organisation wieder einmal selbst übernehmen.
Im Wiegeschritt um den Platz
Den neun abendlichen Messen folgt die Hauptmesse und Prozession am 10. Tag, dem 2. Februar. Die Jungfrau steht auf einem hölzernen Tragegestell, dass nun von 14 Männern hochgehoben wird und auf ihren Schultern balancieren sie das kiloschwere Gestell samt Jungfrau Richtung Ausgang. Der Umhang ist so ausladend, dass man etwas schräg durchs Kirchenportal nach draussen manövrieren muss, dann steht die Runde um den kleinen Hauptplatz des Stadtviertels an. Der Verkehr wird teilweise zurückgehalten, hier in Cusco ist man solche Unterbrechungen im Strassenverkehr gewohnt. Die Mayordomos, ihre Familie und die Glaubensgemeinde schreiten voran, nach ihnen kommen im wiegenden Gleichschritt die Männer der Bruderschaft der Heiligen Jungfrau Purificada von Santiago, nur sie haben die Ehre die Jungfrau tragen zu dürfen. Hinter ihnen die Marschkapelle, die die Prozession lautstark begleitet.
An jeder Längsseites des Platzes wird Halt gemacht und ein Bambusgerüst, das mit lauter Knallfröschen gestückt ist, wird um die Jungfrau und die Männer herum aufgestellt. Dann geht es weiter im Wiegeschritt und das Bambusgerüst wird auf der Strasse zusammengebunden. Rufend wird darauf aufmerksam gemacht doch in gebührenden Abstand zu gehen, denn jetzt wird die Zündschnur angezündet und ein ohrendbetäubendes Geknalle beginnt – das gehört hier zu jeder religiösen Prozession mit dazu und lediglich ein paar Schaulustige schauen aus ihren Läden heraus, danach geht alles wieder seinen gewohnten Gang.
Zurück vor der Kirche hält der Trupp mit der Heiligen Jungfrau und alle grupperien sich um sie herum. Die Männer heben die schwere Laste erneut auf ihre Schultern und drehen sich nacheinander in alle drei Richtungen, so dass jeder Gläubige der Jungfrau direkt gegenüber steht. Die Männer der vordersten Reihen gehen in die Knie und die Jungfrau scheint die Menschen zu grüssen, die sich alle ehrfurchtsvoll bekreuzigen. Danach geht es unter lauter Blasmusik wieder zurück in die Kirche, ein letztes Mal knallt und raucht es auf dem Platz.
Verehrung ohne Distanz
4 Tage später in der Kirche bei den letzten Arrangements der Jungfrau in ihrer Nische. Die Frauen unterhalten sich, immer wieder schauen sie zur Heiligen Jungfrau und versichern sich gegenseitig, wie glücklich und zufrieden sie doch jetzt aussähe. Man hat das Gefühl, dass sie über eine lebendige Gestalt reden. Der Schutzpatron der Kirche, der Heilige Santiago, sitzt der Jungfrau schräg gegenüber auf seinem imaginären Pferd – sein hölzernes Pferd steht hinten in der Kirche unter Stoff geschützt. Er wird in einer Art Vitrine aufbewahrt und hat keine eigene Nische wie die Jungfrau. „Das ist, damit er jederzeit herauskommen kann um die Jungfrauen zu beschützen“ sagt eine ältere Frau und alle kichern als sie sich das Szenario ausmalen. Luzgarda ruft: „Schaut, jetzt lächelt die Jungfrau richtig über unsere Witze!“
Man bespricht, wie schön ihre Kleidung ist und da meint eine junge Frau plötzlich, dass man der Junfrau doch im nächsten Jahr einen BH kaufen sollte, denn im Moment würde sie keinen tragen und die formgebende Baumwolle, die man ihr in den Ausschnitt gestopft hat, würde dann viel besser sitzen. Ich finde diese Bemerkung einfach herrlich, aber alle anderen empfinden das als völlig normal und ich kann mir gut vorstellen, dass die Jungfrau nächstes Jahr tatsächlich einen schicken spitzenbesetzten BH unter ihrem wertvollen Kleid tragen wird.
mit Dank an Aydee Alegria und Luzgarda Granilla de Vazquez
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